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Das erste Jahr als ‹fertige Lehrerin› ist vorbei. Ohne auch nur einen getätigten Eintrag an dieser Stelle. Aus mehreren Gründen: 1) Es gab viel zu tun. Und andere Sachen hatten für mich Priorität. 2) Es war ein herausforderndes und des öfteren nervenaufreibendes Arbeitsjahr. Das Verfassen von Portfoliobeiträgen wäre in dem Moment zu kräftezehrend gewesen. Oftmals war es gut, im Alltag die Schule einfach hinter sich zu lassen und nicht daran zu denken. Jetzt im Nachhinein gab es Menschen und Erfahrungen, die das Jahr trotz allem zu einem wichtigen, lehrreichen und nicht zu missenden gemacht haben – Kolleginnen&Kollegen, die Vorbild, Situationen, die zumindest eine Lehre und Schülerinnen&Schüler, die einfach toll, witzig und kreativ waren. Hier ein Rückblick in Form einer wild zusammengewürfelten Liste (ohne Ordnung & Struktur):

  • Manche Schüler sind schlecht in Mathe, haben null Bock auf Musik, aber einen Sinn für Humor&Kreativität, der unbezahlbar ist!
  • Persönliche Berichte kombiniert mit selbst geschossenen Photos wirken Wunder und bringen selbst schlimme Kurse für die Dauer der Präsentation zur Ruhe. (Und auch bei älteren Schülerinnen&Schülern üben Tierphotos eine unglaubliche Faszination aus!)
  • Nachrichtenaustausch via Pultkalender mit anderen Lehrerinnen erfreuen ♥ und Seele.
  • So manche Schulsekretärin sollte das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. ♥
  • Erziehungsarbeit ist wichtig und hat seine Berechtigung.
  • Freundlich sein.
  • Kolleginnen, die Missgeschicke nicht übel nehmen, sondern im Klassenzimmer aufhängen, sind toll!
  • Der Ratschlag: Blöde Kommentare, Missmut, Störungen, Unverschämtheiten richten sich i.d.R. nicht an Dich persönlich, sondern meinen die Lehrperson (in ihrer Funktion als Vertreterin des Systems). Da vorne könnte jede/r stehen. Das hängt nicht an Dir!
  • Wenn einzelne Schülerinnen&Schüler zugunsten der Klasse mal zurückstecken müssen, ist dies nicht automatisch schulische Gängelung und Erziehung zum Konformismus. Das (jetzige und zukünftige) Leben und Umgehen miteinander kann/ soll/ muss hier gelernt und geübt werden.
  • Humor & Kunst können den Alltag erleichtern.
  • Ein aufgeräumter Arbeitstisch motiviert. Ebenso die persönliche Kaffeetasse.
  • Schreien bringt einfach überhaupt nichts. (Und falls doch: Man kommt sich lächerlich vor. Vielleicht hilft dann lachen mehr als ernst zu bleiben und zu versuchen, nicht sein Gesicht zu verlieren. Es ist dann sowieso zu spät.)
  • 8o Minuten sind zu lange für eine normale Mathestunde.
  • Der Konrektor, der regelmäßig die Spülmaschine ein- und ausräumt. Das lehrt Demut und Kollegialität.
  • Schüler&Schülerinnen machen spannende Entdeckungen.
  • Nachfragen.
  • Schülerinnen die eigenen Stärken entdecken lassen: ‹Die Gnade und Barmherzigkeit, die Ihr anderen und ihrer Arbeit zusprecht, solltet Ihr auch Euch zukommen lassen.›
  • Ohne Mühe erstellte Arbeiten können als solche benannt werden.
  • Aufmerksam sein. Schülerinnen&Schüler freuen sich, wenn man nicht nur den Schüler/die Schülerin kennt: ‹Lasst uns eine kleine Pause machen. Ihr hört ja gar nicht mehr zu – ich glaube, L. säße jetzt viel lieber vor ihrem Lieblingscomputerspiel. Und M. vor seinem Klavier. C. würde gerne in Ruhe mit A. quatschen. Und M. kann es nicht erwarten, endlich seine Zeichnung fertig zu machen!›  ‹Öh, Sie haben voll Recht!› ‹Und ich? Wo wäre ich jetzt gerne?!› ‹Und ich?› :o)
  • Schüler mit einem Klavier alleine zu lassen ist keine Zeitverschwendung. Spätestens bei der eigenen Abschiedsfeier freut man sich über ‹I’ve been looking for freedom›.
  • Sich bei Kolleginnen&Kollegen für (Zusammen)Arbeit bedanken motiviert.
  • (Schulumfassende) Neuerungen sind toll. Aber sie brauchen Zeit. Reflexion. Gegebenenfalls Überarbeitung. Und die Möglichkeit, zur Routine zu werden.
  • Der Plausch mit so manchen Kolleginnen&Kollegen im Lehrerzimmer bei einem Kaffee ist toll. Aber nichts im Vergleich zu einem Glas Wein & Konversation am Abend.
  • Selbst herbeigesehnte Abschiede können schwer fallen.
Es wird erforderlichsein, die Eltern und die Lehrer immer wieder daran zu erinnern, daß ein Erzieher, der keine Freude mehr an seiner Arbeit hat, ein Sklave seines Broterwerbs ist. Ein Sklave aber kann keine freien und beherzten Menschen heranbilden. Ihr könnt eure Schüler nicht dazu vorbereiten, morgen die Welt ihrer Träume aufzubauen, wenn ihr nicht mehr an diesen Traum glaubt. Ihr könnt sie nicht auf das Leben vorbereiten, wenn ihr nicht mehr an dieses Leben glaubt. Ihr könnt ihnen nicht mehr den richtigen Weg zeigen, wenn ihr euch müde und entmutigt an der Wegkreuzung niedergelassen habt.
(Célestin Freinet. Les Dits de Mathieu)

Ich sitze gerade an meiner Dokumentation – die im Rahmen der zweiten Staatsprüfung zu verfassen ist – und wühle mich mit Begeisterung durch Artikel und Bücher. Dabei habe ich gerade eben ein Zitat wiederentdeckt, dass ich nicht vergessen & auch meinen werten Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten möchte:

«Aber die Schulbücher unterwerfen auch die Lehrer. Sie gewöhnen sich daran, das immer gleiche Wissen auf immer gleiche Art weiterzugeben, ohne sich darum zu kümmern, ob das Kind es aufnehmen kann. Die schädliche Routine bemächtigt sich des Erziehers. Was bedeuten schon die Interessen der Kinder, wenn doch auf hundert Seiten alles erstrebenswerte Wissen in einen Text gepreßt ruht, der Stoff, der genügt, um dise Examen zu bestehen! Es ist unbedingt notwendig, daß die Lehrer sich von dieser mechanischen Vermittlung freimachen, um sich der Erziehung des Kindes zu widmen.»

(Célestin Freinet: Schluss mit den Schulbüchern!)

Wenn aber Rechtschreibung und Zeichensetzung mehr Zeit gekostet haben, als die Auseinandersetzung mit Liebe, Frieden, Freiheit, Solidarität, Glück & Tod - und dann nicht mal gekonnt werden - , dann sollten Heranwachsende eine solche »Bildungsinstitution« nicht mehr so wichtig nehmen...

(Herbert Gudjons 2003, 207)

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